Corona — Calwer Chefarzt und Pflegeleitung der Notaufnahme berichten von Krankenhausalltag im Ausnahmezustand
Gut zwölf Monate Pandemie liegen hinter den Mitarbeitern des Calwer Krankenhauses, und ein Februar, den sie wohl lieber nicht erlebt hätten. Geprägt war der vergangene Monat von dem massiven Corona-Ausbruch in der Klinik. Martin Oberhoff und Sonja Kapp berichten vom Alltag im Ausnahmezustand.
Kreis Calw. 5. Februar 2021: Diesen Freitag werden die Mitarbeiter des Krankenhauses Calw so schnell nicht vergessen. An dem Freitag zeichnet sich ab, dass sie es mit einem massiven Corona-Ausbruch im eigenen Haus zu tun haben. Die Folgen sind gravierend: Die stationäre Aufnahme neuer Patienten wird gestoppt, wer an diesem Tag oder danach in Dienst war, darf sein Zuhause nur noch verlassen, um zur Arbeit zu gehen, die Haushaltsangehörigen stehen ebenfalls unter Quarantäne. Die Maßnahmen sind einschneidend und haben einen Grund: die Sorge, dass für den heftigen Corona-Ausbruch Virus-Mutationen verantwortlich sein könnten.
Die Quarantäne trifft genau die, die seit zwölf Monaten alles geben, um die Pandemie zu bekämpfen. Die Krankenhausmitarbeiter. Zwölf Monate, in denen alles »sehr, sehr gut gegangen« sei, wie Martin Oberhoff, der ärztliche Direktor und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, betont. Man habe gedacht, das Ende der zweiten Welle sei erreicht. »Und dann kommt es zu so einem Ausbruch.
«72 Mitarbeiter und zehn Patienten werden laut Klinikverbund Südwest, zu dem das Calwer Krankenhaus gehört, positiv getestet während des Ausbruchs. Allerdings lasse sich gerade bei Letzteren nicht sagen, ob sie sich tatsächlich in der Klinik angesteckt haben, oder beispielsweise infiziert eingeliefert wurden, erklärt Pressesprecher Ingo Matheus.
Selbst wenn man von insgesamt 83 ausgeht, ist der Ausbruch von den Zahlen her für Martin Oberhoff vergleichbar mit denen in anderen Kliniken. Nur, dass in Calw die Sorge vor Mutationen dazukam. Am Ende war sie unbegründet, ein Hinweis auf Veränderungen des Virus fand sich nicht. Als die Stadt Calw in Abstimmung mit dem Kreis-Gesundheitsamt die Quarantäne verhängte, war das allerdings noch unklar.
Für das ohnehin am Limit arbeitende Klinikpersonal fühlte sie sich an wie eine persönliche Bestrafung, erinnert sich Martin Oberhoff. Notwendig sei sie trotzdem gewesen. Auch Alexandra Freimuth, die Regionaldirektorin des Kreisklinikums Calw-Nagold im Klinikverbund Südwest, spricht von einer »hohen psychischen Belastung, auch für die Familien«. Doch das Ziel war, einen Schutzwall aufzubauen.
Der ärztliche Direktor beschreibt die Zusammenarbeit mit den Behörden im Kreis als sehr gut: »So ist es auch gelungen, dass man sehr, sehr schnell den Ausbruch beenden konnte.
«Seit Anfang Januar, dem Beginn der sogenannten zweiten Corona-Welle, sind in Calw 98 infizierte Patienten behandelt worden. An Weihnachten, berichtet der Chefarzt, waren es sogar 17 Covid-Patienten gleichzeitig gewesen, und das in dem kleinen Haus mit 191 Betten. Zum Vergleich blickt Martin Oberhoff nach Tübingen. In der dortigen Uniklinik mit nach eigenen Angaben 1585 Betten seien es zur selben Zeit 30 gewesen.
Gerade in der Intensivstation hat das Klinikpersonal täglich vor Augen, was das Virus anrichten kann – eben nicht nur bei Älteren. Die in Calw behandelten Covid-Patienten waren zwischen 31 und 98 Jahren alt. »Natürlich hat jeder Angst«, sagt Martin Oberhoff. Dies nicht nur um sich selber, sondern um die Familie zu Hause oder die Eltern. »Wir wissen auch, dass ganz junge Patienten ganz, ganz schwer an Corona erkranken und auch sterben können.« Der Umgang mit Infektionskrankheiten gehöre für medizinisches Personal zwar dazu, aber normalerweise nicht in der Masse oder Dichte wie seit Beginn der Pandemie.
Sonja Kapp ist die Pflegeleitung der Notaufnahme. Diese wiederum betreut die Fieberambulanz. Mit Corona hat sie es also jeden Tag zu tun. Und selbst während des Aufnahmestopps war das Krankenhaus für Notfälle immer anfahrbar. Um alles zu bewältigen, das betont sie immer wieder, geht nur wegen des sehr guten Zusammenhalts im Team. Gerade im Ausnahmezustand sei dieser extrem wichtig gewesen, erzählt sie.
Dazu kommen die Schutzmaßnahmen, die im Calwer Krankenhaus seit Pandemiebeginn getroffen und immer wieder verstärkt worden sind: »Wir wussten, dass das, was wir tun, hygienisch einwandfrei ist«, meint Sonja Kapp. In dem Zusammenhang nennen sie und Oberhoff die Hygienefachkraft am Standort, Olga Ortmann. Sie habe »mit den schlimmsten Job« seit Beginn der Pandemie, erläutert der Medizinier, habe Tag und Nacht mitgekämpft und sei 24 Stunden am Tag erreichbar. Was Ortmann, die Teams der Notaufnahme, der Pandemie- und Intensivstation, aber auch das übrige Personal geleistet haben, darüber sagt Martin Oberhoff: »Es ist fast übermenschlich, das über so einen langen Zeitraum durchzuhalten.« Die Anspannung unter den Mitarbeitern sei immer noch sehr hoch. Viele würden angesichts der Dauerbelastung unter Schlafstörungen leiden.
Was laut Sonja Kapp hilft, ist der Austausch innerhalb des Teams. So war das auch während des Corona-Ausbruchs. »Wir haben versucht, uns so ein kleines, gallisches Dorf einzurichten.« Sie berichtet von Videoanrufen nach Feierabend und von Kuchen, die Privatleute für sie gebacken haben – »Gesten, die uns das Leben erleichtert haben«.
Die Mitarbeiter der Fieberambulanz haben während des Ausbruchs das gesamte Personal auf Corona getestet. Das hätten sie als »krass« erlebt. Plötzlich so viele positive Testergebnisse bei Kollegen, das war laut Sonja Kapp eine »emotionale Herausforderung«.
Überhaupt spielen Tests eine immer größere Rolle im Krankenhausalltag. Im Klinikverbund Südwest wurden im März 2020 noch 2000 Coronatests an Mitarbeitern und Patienten vorgenommen, im vergangenen Februar waren es bereits 18 000.
In Calw machen inzwischen alle neuen Patienten einen PCR- und einen Schnelltest. Anschließend gibt es regelmäßig weitere Schnelltests, die Mitarbeiter werden wöchentlich getestet.
Außerdem haben die Erfahrungen in der Pandemie sogar Auswirkungen auf den Neubau des Calwer Krankenhaus: Dort wird es künftig etwa eine große Pandemiestation und Platz für eine Fieberambulanz geben, berichtet Martin Oberhoff. »Der Neubau ist ziemlich pandemiesicher.« Denn das es noch einmal 100 Jahre bis zur nächsten Pandemie dauert, das glaubt der Mediziner nicht.
Für ihn zeigt sich gerade jetzt der Vorteil dezentraler Strukturen, also kleiner Häuser wie dem in Calw. Würden alle Corona-Patienten in die Tübinger Uniklinik eingeliefert, ginge dort gar nichts mehr, meint Oberhoff. Andersherum profitierte das Calwer Krankenhaus von der Sana-Klinik in Bad Wildbad und dem Paracelsus-Krankenhaus in Unterlengenhardt. »Die haben uns Patienten abgenommen.«
Inzwischen herrscht im Krankenhaus der Hesse-Stadt wieder »Normalbetrieb«, soweit dies eben geht, und es ist voll belegt. Die Wartelisten für Eingriffe sind lang, es gibt einiges nachzuholen. Im Vergleich zum Jahr 2019, als 78 000 Patienten in den Häusern des Klinikverbunds behandelt worden waren, waren es 2020 lediglich 69 000. Das zeigt, dass viele den Gang ins Krankenhaus während Corona scheuen. Ihre Beschwerden allerdings haben sie trotzdem. Auch deshalb ist es Alexandra Freimuth wichtig, zu sagen: »Wir versorgen natürlich Covid-Patienten, aber auch alle andern.« Und die könnten ohne Sorge ins Krankenhaus kommen.
Werdende Eltern tun dies offenbar. Sie sorgen in Corona-Zeiten im wahrsten Sinne des Wortes für positive steigende Zahlen. So kamen 2020 im Calwer Krankenhaus trotz Corona mehr Kinder zur Welt als noch 2019, nämlich 558 Babys. Im Jahr zuvor waren es 478 gewesen. Und dieser Anstieg, ergänzt Martin Oberhoff, halte unverändert an – was umso erfreulicher ist angesichts ebenfalls steigender Coronazahlen steigen.
Von Verena Parage
Schwarzwälder Bote, Teil Nordschwarzwald vom 24.03.2021