20221216 PB - Kliniken: Entmachtet sich der Kreis?

Geschrieben am 16.12.2022

Kliniken: Entmachtet sich der Kreis?

Fusion - Bürgerinitiative warnt vor hohen Verlusten, fehlendem Vetorecht und medizinischem Ausverkauf



Kommt es im Klinikverbund Südwest zur Fusion, sind die Krankenhäuser in Calw und Nagold dann auf Gedeih und Verderb dem Kreis Böblingen ausgeliefert? Das befürchtet die »Bürgerinitiative Gesundheitsversorgung«. Die Verantwortlichen weisen das indes zurück.

Kreis Calw/Kreis Böblingen. Gut ein Jahr ist es her, dass der Verein »Pro Krankenhäuser Calw und Nagold« seinen Vereinszweck angepasst und seinen Namen in »Bürgerinitiative (BI) Gesundheitsversorgung Kreis Calw« geändert hat. Der ursprüngliche Vereinszweck, die Sicherung zweier Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung in Calw und Nagold sei erfüllt, nun sollten neue Aufgaben in den Vordergrund rücken – wie die Gewinnung von Pflegern und Ärzten.

   »Ob das so sein wird, das wird die nahe Zukunft zeigen«, meint nun jedoch Vorsitzender Bernd Neufang. Denn die geplante Fusion der Tochtergesellschaften des Klinikverbunds Südwest, zu dem auch die Krankenhäuser Calw und Nagold gehören, lässt die BI Schlimmes befürchten.


Die Fusion

Seit ungefähr einem Jahr arbeitet der Aufsichtsrat des Klinikverbunds daran, die Klinikgesellschaften Böblingen und Calw zusammenzuführen und mit der Holding zu einer Gesamtgesellschaft zu verschmelzen. Mitte Juli 2022 beschloss der Aufsichtsrat des Klinikverbunds, dies anzustreben. Dafür werden derzeit Details erarbeitet. Beschließen sollen es die Kreistage Böblingen und Calw, deren Landkreise auch die Träger des Verbundes sind.

  Durch die Fusion, so argumentiert der Aufsichtsrat, sollen Abstimmungen und Entscheidungswege vereinfacht sowie die Zusammenarbeit und damit letztlich der Verbundes gestärkt werden. Zum Klinikverbund gehören die Krankenhäuser Böblingen, Calw, Herrenberg, Leonberg, Nagold und Sindelfingen.


Die Befürchtungen

Kommt die Fusion zustande, so fürchtet die BI insbesondere drei Folgen: dass der Kreis Calw sein Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen verliert, dass den Krankenhäusern im Kreis Calw Teile ihres Behandlungsspektrums genommen werden und dass der Kreis Calw Verluste aus dem Kreis Böblingen mittragen muss (zuzüglich zu eigenen Verlusten, die sich erhöhen könnten, wenn lukrative Behandlungsmöglichkeiten verlagert werden).

   Eine derartige Entmachtung sei die Folge einer Fusion. Denn derzeit gibt es die Kreiskliniken Calw Nagold gGmbH, an der der Landkreis Calw zu 49 Prozent und der Klinikverbund Südwest zu 51 Prozent beteiligt sind, die Verluste trägt der Kreis Calw. Hierbei habe der Kreis bislang eine Art Vetorecht; bei wesentlichen Entscheidungen müssen die Aufsichtsräte des Landkreises Calw zustimmen.

   Kommt es nun zur Fusion, würden, so argumentiert die BI, aber die Mehrheitsverhältnisse gelten, die bereits jetzt bei der Klinikverbund Südwest GmbH Tatsache sind. Hier ist der Kreis Böblingen zu 75,1 Prozent, der Kreis Calw nur zu 24,9 Prozent beteiligt. Da die Sperrminorität bei mehr als 25 Prozent liegt, könne der Kreis Calw dann also keinen Beschluss der GmbH mehr verhindern.


Was ist das Problem?

Grundsätzlich stellt sich nun die Frage, warum der Kreis Böblingen beispielsweise den medizinischen Ausverkauf des Landkreises Calw überhaupt anstreben sollte. Die BI begründet dies insbesondere mit dem sich im Bau befindlichen Flugfeldklinikum in Böblingen/Sindelfingen, das völlig überdimensioniert sei. Rund 700 Betten soll es dort dereinst geben, mindestens 200 davon seien zu viel. Würden die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) umgesetzt, der mehr auf ambulante Behandlungen und weniger auf Übernachtungen in Krankenhäusern setzen will, würden sogar noch weniger gebraucht.

   Darüber hinaus, so BI-Vorsitzender Neufang, müsse mit explodierenden Kosten gerechnet werden. Aus den ursprünglich geplanten 435 Millionen Euro würden am Ende wohl rund eine Milliarde Euro werden. »Ein so überdimensioniertes Krankenhaus muss einen ordentlichen Geschäftsführer dazu zwingen, Krankenhäuser des Verbunds zu Portalkliniken beziehungsweise Kliniken mit überwiegend ambulanten Behandlungen zu machen«, heißt es in einem Thesenpapier der BI. Mit anderen Worten: Die anderen Häuser, auch Calw und Nagold, müssten schrumpfen.

   Da es zudem in Tübingen und Stuttgart bereits Kliniken der Maximalversorgung gebe, glaubt die BI auch nicht, dass das Flugfeldklinikum überhaupt von Patienten und künftigen Mitarbeitern aus dem Umland (Herrenberg, Leonberg, Calw, Nagold) im erhofften Maß angenommen wird. »Wer das glaubt, glaubt an den Weihnachtsmann, den Osterhasen und den Klapperstorch gleichzeitig«, sagt Neufang.

   Weder die Sanierung und Erweiterung des Krankenhauses in Nagold, noch der Bau des Gesundheitscampus mit neuem Krankenhaus in Calw seien Bestandsgarantien für das jetzige medizinische Behandlungsspektrum der Kliniken im Kreis Calw. Das zeige das Schicksal der Akutklinik in Horb, deren Ende im Jahr 2012 mitten während millionenschwerer Umbaumaßnahmen eingeläutet worden war.


Knackpunkt Veto-Möglichkeit

Weit weniger dramatisch sieht indes Johannes Schwarz die aktuellen Verschmelzungsbestrebungen der Gesellschaften – obwohl er »kein blinder Fusionsbefürworter« sei. Schwarz ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag und Aufsichtsratsmitglied der Kreiskliniken Calw GmbH. BI-Vorsitzender Neufang hatte ihn sowie andere Mitglieder des Kreistags zum Gespräch eingeladen; gekommen waren aber nur Schwarz sowie das ehemalige Kreistagsmitglied und dort einst FDP-Fraktionsvorsitzender Karl Braun.

   Wie Schwarz ausführte, dürfe die Fusion nicht rundweg abgelehnt werden. Denn die Struktur der Aufsichtsgremien, so ist der Kreisrat überzeugt, müsse unbedingt verschlankt werden, um die Kommunikation und die Zusammenarbeit zu verbessern. Daher sei es sinnvoll, durch eine Fusion aus drei Aufsichtsräten einen zu formen, da dann viel mehr mit- als übereinander geredet werde.

   »Hinterfragen Sie die Fusion nicht generell, sondern eher die Inhalte«, warb Schwarz. Ob bei einer Verschmelzung alle Defizite gemeinsam getragen werden müssten, sei beispielsweise eine Frage, die bei den aktuell laufenden Fusionsverhandlungen thematisiert werden müsse. Und »der Knackpunkt wird der Minderheitenschutz sein«, der schon heute gelte und auch bei einer Fusion sichergestellt und aufrechterhalten werden müsse, betont Schwarz. Also eine im Rahmen der Fusion festgehaltene Regelung, durch die der Kreis Calw nicht einfach durch die Mehrheit des Kreises Böblingen übergangen werden kann. Zur Erinnerung: Mit 24,9 Prozent hätte der Kreis ansonsten nicht einmal die Sperrminorität, wäre den Entscheidungen des großen Partners – ohne eine zusätzliche Regelung – gewissermaßen »ausgeliefert«.

   Dass der Klinikverbund auch für den Fortbestand der Kliniken im Kreis Calw essenziell sei, stehe dagegen außer Frage – nicht zuletzt, um in Sachen Personal gerüstet zu sein. Im Verbund sei es möglich, sich gegenseitig auszuhelfen, falls Not am Mann ist.


Lieber etwas weniger

Ewald Prokein, stellvertretender BI-Vorsitzender, unterstrich, dass der Klinikverbund und die geplante Fusion nicht in einen Topf geworfen werden dürften. Hinsichtlich verschiedener Bereiche – Einkauf, Apotheke oder Personal – an einem Strang zu ziehen, sei durchaus sinnvoll. Allerdings plädierte er dafür, eher die bereits bestehende Verschmelzung ein Stück weit zurückzuschrauben, statt diese noch weiter voranzutreiben – aus den von der BI vorgebrachten Gründen.

   Auch Neufang betonte, es wäre besser, das »Rad der Geschichte ein wenig zurückzudrehen« und wieder mehr Eigenverantwortung in die Häuser zurückzuholen. Statt der Fusion solle ein Kooperationsmodell her – mit Geschäftsführungen in den Kliniken Calw/Nagold sowie im Klinikverbund, die das Tagesgeschäft abwickeln. Ein Modell, für das sich der Ex-Kreisrat Braun bereits vor Jahren ausgesprochen hatte. Ebenfalls vor Jahren hatte er vor Kostenexplosionen bei den Krankenhausplänen gewarnt.

   Prokein appellierte: Wenn in Sachen Fusion jetzt nicht Kreistag, Landrat und BI kooperierten, »dann haben wir hier eine Katastrophe«.


Das sagen die Landratsämter

Düstere Szenarien, was eine Fusion mit sich bringen könnte, gibt es also einige. Doch was sagen eigentlich die Träger des Klinikverbunds, die Landkreise Calw und Böblingen? Auf Anfrage unserer Redaktion äußern sich die beiden Landratsämter in einer gemeinsamen Antwort zum Thema. Aktuell, so schreibt Janina Dinkelaker, Pressesprecherin des Calwer Landratsamts, würden Gespräche zwischen den Gesellschaftern zu einer möglichen Fusion laufen, in denen es vor allem um gesellschaftsrechtliche Fragen und Möglichkeiten gehe – unter anderem um die Zusammenlegung des Aufsichtsrats und damit um kürzere Entscheidungswege. Ziel sei es, bereits im kommenden Jahr zu fusionieren.

   Schon heute würden die Landkreise einen Verbund bilden, der die Wirtschafts- und Investitionskraft bündele, Verwaltungs- und Servicebereiche vereine und auf enge medizinische Zusammenarbeit setze.

   An der hochwertigen, wohnortnahen Versorgung der Bevölkerung und am Erhalt aller sechs Klinik-Standorte solle sich durch eine Fusion nichts ändern.

   Teil der Gespräche sei insbesondere auch das Thema des Minderheitenschutzes auf Gesellschafter- und Aufsichtsratsebene, um »eine einvernehmliche und gute Ausgestaltung der Vollfusion für beide Landkreise« zu erreichen.

   Mit der Fusion sollen nicht die Landkreise als Träger geschwächt, sondern die zunehmend standortübergreifende Zusammenarbeit im Verbund gestärkt werden, um die bestmögliche medizinische Versorgung zu sichern.

   Im Kreis Calw würden künftig der Gesundheitscampus Calw sowie das sanierte Krankenhaus Nagold dazu beitragen, die auch für medizinisches und pflegerisches Fachpersonal attraktiv seien.


von Ralf Klormann
Schwarzwälder Bote, Teil Nordschwarzwald vom 16.12.2022

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