23010 BI -Warum sind wir gegen die Fusion der Kliniken?

geschrieben am

13.12.2022

Warum sind wir gegen die Fusion der Kliniken?


von Prof. Neufang

Derzeit gibt es die Kreiskliniken Calw Nagold gGmbH, an welcher der Landkreis Calw zu 49 % und der Klinikverbund Südwest zu 51 % beteiligt sind. Diese gGmbH ist Träger der Kliniken in Calw und Nagold, wobei die Verluste vom Landkreis zu tragen sind. Ein ähnliches Konstrukt gibt für die bestehenden Kliniken in Böblingen, Sindelfingen, Leonberg und Herrenberg mit einer Beteiligung des Landkreises Böblingen.

 

Obwohl der Landkreis Calw an „seinen“ Kliniken nur zu 49 % beteiligt ist, können derzeit aufgrund einer Regelung im Gesellschaftsvertrag wesentliche Entscheidungen nicht ohne Zustimmung der Aufsichtsräte des Landkreises Calw gefällt werden.

 

Der Klinikverbund möchte nun die Fusionierung aller Klinken auf den Klinikverbund Südwest GmbH; an welcher der Landkreis Böblingen zu 75,1 % und der Landkreis Calw zu 24,9 % beteiligt ist. Damit würde die Kreiskliniken Calw Nagold gGmbH nicht mehr bestehen.

 

Der Artikel vom 18.11.2022 im Schwarzwälder Boten zur Hesse-Bahn zeigt deutlich auf, dass die Region Stuttgart nicht das geringste Interesse am ländlichen Raum hat. Dieser ist einzig und allein nur „Zulieferer“. Zur Region Stuttgart gehören auch Böblingen und Sindel­fingen. Eine Zustimmung zur Fusion hätte nicht nur zur Folge, dass der Landkreis Böblingen das medizinische Spektrum der Kliniken in Nagold und Calw, sondern damit auch über die Höhe der zutragenden Verluste bestimmt.

 

Über kurz oder lang würde der östliche Landkreis zum „Zulieferer“ für das entstehende, völlig über­dimensionierte (mindestens 200 Betten zu viel) und kostenmäßig aus dem Ruder laufende Flugfeld-Klinikum (ursprünglich geplant 435 Millionen Euro; tatsächliche Baukosten wohl gegen eine Milliarde Euro), welches aus Kostengründen dann ausgelastet werden muss. Hinzu kommt, dass immer mehr ambulante Behandlungen/Operationen erfol­gen sollen, damit die heutige Bettenzahl künftig nicht mehr - außer in Pandemiezeiten - be­nötigt wird.

 

Werden die Pläne zur vorrangigen ambulanten Behandlung in Krankenhäusern umgesetzt, so erhöht sich die Zahl der nicht benötigten Betten um mindestens das Doppelte. Deswegen sind alle Berechnungen zur Anzahl der benötigten Betten im Flugfeld-Klinikum in Frage zu stellen.


Ein so überdimensioniertes Krankenhaus muss einen ordentlichen Geschäftsführer dazu zwingen, Krankenhäuser des Verbunds zu Portalkliniken bzw. Kliniken mit überwiegend ambulanten Behandlungen zu machen. Damit wird die Motivation zur Gründung des Klinik­verbunds ad absurdum geführt.


Ob sich damit die Bettenbelegung erreichen lässt wird bezweifelt. Es wird nämlich nicht gelingen, dass Patienten aus dem Raum Herrenberg und südlich davon, nach Böblingen gehen, wenn diese Region der typische Einzugsbereich von Tübingen und verkehrs­technisch mit der Ammertalbahn hervorragend angeschlossen ist. Gleiches ist für den Raum Leonberg zu erwarten, der nach Stuttgart und Ludwigsburg tendiert. Auch für Patienten aus dem Raum westlich und nördlich von Calw wird keine Akzeptanz von Böblingen zu erwarten sein. und westlich von Nagold wird nach Freudenstadt oder Tübingen ab­wandern. m Übrigen für die bisherigen Mitarbeiter entsprechend.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass es in unmittelbarer Nähe mit dem Klinikum Stuttgart und der Universitätsklinik in Tübingen Kliniken der Maximalversorgung gibt.


Bei einer Entscheidungsfindung gilt es zudem zu beachten, dass die Kliniken des Land­kreises Calw schon bisher personell und organisatorisch von der Holding geschwächt wer­den (siehe die Schließung des Kreissaales vor ein paar Jahren, den aktuellen Reparatur­bedarf im derzeitigen Calwer Krankenhaus, die schleppende oder Nichtbesetzung von Stellen, der Frust des Personals über die Behandlung durch die Personalabteilung der Holding, der zu Kündigungen führt).


Die Sanierung und Erweiterung des Krankenhauses in Nagold sowie der Bau des Gesund­heitscampus mit einem neuen Krankenhaus sind keine Bestandsgarantie für das jetzige medizinische Behandlungsspektrum der Kliniken in Nagold und Calw, wenn man Minder­heitsgesellschafter wird. Ein Blick über die Kreisgrenzen zeigt dies. In Horb wurde vor Jahren eine neue Klinik gebaut und kurz vor Bezug entschieden, dass ein Krankenhausbetrieb nicht aufgenommen wird.


Deswegen müssen wir uns gegen die gewollte Fusion stemmen, denn voll funktionsfähige Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung sind in der Fläche - und damit im Landkreis Calw - notwendig zur Weiterentwicklung dieses Raumes; genauso wie Schulen, Kinder­betreuungseinrichtungen, der ÖPNV und kulturelle Einrichtungen. Wie wichtig der Erhalt der Kliniken im ländlichen Raum ist, hat die Akutphase der Corona-Pandemie gezeigt, wes­wegen eine finanzielle Unterstützung von kleineren Krankenhäusern der Grund- und Regel­versorgung erfolgen soll.


Wir halten aber den Klinikverbund in seiner bisherigen Konstruktion für überbordet und auch so nicht gewollt. Eine übertriebene Bürokratie und der Entzug aller Entscheidungsmöglichkeit vor Ort behindern die Funktionsfähigkeit und die Motivation der Mitarbeiter. Deswegen sind wir für ein Kooperationsmodell; d. h. eine Geschäftsführung in den Kliniken Calw Nagold muss - ggf. in Abstimmung mit dem Geschäftsführer der Holding - das Tagesgeschäft ab­wickeln. Die Holding ist nur noch zuständig für Serviceleistungen wie Administration, EDV, Personalgewinnung, Personalweiter- und -fortbildung, Einkauf, Apotheke, Küche usw.


Aus unserer Sicht wäre nicht hinnehmbar:

   - eine Aufgabe der Minderheits- und Vetorechte,

   - die Abgabe des Medizinkonzepts - und damit des Behandlungsspektrums der Kliniken in Nagold und Calw - in die Hände der Holding sowie

  - eine durch die Holding gesteuerte Verlustsituation zur besseren Auslastung des Flugfeld-Klinikums, die vom Landkreis - und damit von den Gemeinden über die Kreisumlage - zu tragen wäre.


Share by: